Von dem biblischen Menschenbild zu sprechen, ist problematisch. So sehr die Bibel ein Buch ist, das vom Menschen spricht, so wenig entwirft sie ein einziges konkretes Bild: Vielmehr handelt es sich um immer neue Bilder, in denen Menschen in ihrem je besonderen Verhalten dargestellt werden. Die Bibel stellt keine Lehrsätze über den Menschen auf, sondern schildert ihn in vielen verschiedenen Einzelbeobachtungen, die sich in den Erzählungen der Bibel mitteilen. Als ob jemand immer wieder sagte: „Schau, so ist der Mensch“. Schon der Bericht von der Erschaffung des Menschen weist geheimnisvoll auf das Wesen des Menschen hin: „Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen nach unserem Bilde, uns ähnlich. ... Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, nach dem Bilde Gottes schuf er ihn; als Mann und Frau schuf er sie (Gen 1, 26f.). Zwei wesentliche Aussagen über das Bild des Menschen sind damit gemacht, die sich auch weiterhin durch das biblische Zeugnis entfalten sollen. Einmal, dass der Mensch von Gott als polares Wesen, das heißt männlich und weiblich, geschaffen wurde, und dass er andererseits in diesem polaren Beziehungsverhältnis Bild Gottes sein soll, in dem Gott sich in diese Welt hinein abbildet. |
Der Psalmbeter fragt staunend und jubelnd zugleich: „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst?“ (Psalm 8, 5). Und die Antwort lautet: Der Mensch wird von Gott gesehen. Das begleitet ihn von Anfang an. Dahinter steht zuerst die Überzeugung der biblischen Schriften, dass man den Menschen in seinem tiefsten Wesen nicht erkennen kann, wenn man ihn nicht unter diesem Aspekt sieht. Dahinter steht aber auch, dass man den Menschen so ganz als Menschen sehen lernt, in seiner Vielfalt, in seinem Widerspruch. Die Menschenschilderungen des Alten wie auch des Neuen Testaments verblüffen durch ihre Direktheit. Der Mensch kommt hier unverstellt in den Blick: mit seinem Zweifel und seinem Glauben, mit seiner Angst und seiner Leidenschaft. Die Bibel zeigt sich als ein Buch, das zutiefst vom Menschen weiß, von seinen Möglichkeiten und seinen Abgründen wie auch von seinem ewigen Umfangensein durch Gottes Liebe. |